Leserbrief zum Artikel: Aufnahmestopp bei der Tafel

Leserbrief zum Artikel „Aufnahmestopp bei der Tafel“ der RHEINPFALZ vom 07.05.2022

Um es gleich vorweg zu nehmen: Mein uneingeschränkter Respekt gilt den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer der Tafel. Die Tafel – ursprünglich eine Einrichtung für Wohnsitzlose, präsentiert sich nicht nur als zunehmend unverzichtbare armutspolitische Kompensation für sozialstaatliche Defizite, sondern schon lange auch als günstiger, imageförderlicher und auch noch ökologischer Ausweg aus den Verwertungsproblemen des Lebensmitteleinzelhandels. Sogar einen „Nachhaltigkeitspreis“ gab es für den Bundestafelverband bereits, verliehen vom Lebensmittelhandel. Doch wollten sich die Tafel-Betreiber nicht eigentlich selbst überflüssig machen? Und liefert die Etablierung und Professionalisierung der Tafeln nicht gerade die Legitimation dafür, den Sozialstaat ab- und mittelalterlich-feudale Almosen- und Fürsorgemaßnahmen wieder aufzubauen? Allein das sollte Grund genug zum Nachdenken sein. In dem Maße, wie Armut und Ungleichheit in unserem Land zugenommen haben, ist auch die Tafelbewegung als Brücke zwischen Überfluss und Mangel gewachsen. Aus der ersten Tafel für Obdachlose Menschen in Berlin 1993 ist eine halbprofessionelle Tafelbewegung für einkommensarme Menschen geworden, die so ganz in den schlanken neoliberalen Sozialstaat passt. Ein Ansatz, der den wegen ihrer Ausbeutungs- und Ausspitzelungs-Methoden in die Kritik geratenen Lebensmittel-Discountern wie gerufen kam und ihr Image wieder aufpolierte. Aber auch viele katholische und evangelische Geistliche und manche Caritas- und Diakonie-Vertreterinnen und Vertreter sind ganz in ihrem Element, wenn sie Tafeln einweihen und von christlicher Nächstenliebe fabulieren können. Schließlich sorgen die Tafeln dafür, dass große Mengen von Esswaren vor der Vernichtung bewahrt und rationell verteilt würden. Auf diese Weise macht sich der Bundesverband der Tafel, der nach eigenen Angaben gegen Armut kämpft, sowohl armuts- als auch ökopolitisch unverzichtbar. Aber nur so lange bis in diesem Land soziale Gerechtigkeit hergestellt ist. Dann sind auch die Tafeln überflüssig.