Zusammenfassung der Aktionswoche 2022, 17.10.-21.10.2022, Armut bedroht alle! „Armut im Klimawandel“

17.10.2022, Montag, 11Uhr, Landes-Pressekonferenz Stuttgart (Landtag)

Unter der Regie der Landespressekonferenz, Frau Katharina Thoms, begann die Aktionswoche 2022; das Netzwerk 1 der lak-bw eröffnete die Pressekonferenz mit zwei Beiträgen von Roland Saurer und Harry Widmann.

Roland Saurer, Sprecher der lak-bw, nw 1, stellte die derzeitige Situation der Ökologie, den Krieg in Osteuropa, die Krise der Gesellschaft dar. Er verwendete die Thesen der Konferenz in Davos mit ihren Positionierungen zur globalen Lage, sprach das „Phänomen des Anthropozän“ an (Eva Horn/H. Bergthaller) und erörtere die Position des Soziologen Hartmut Rosa, Jena mit dem Stichwort „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“.

Abschluss bildete das Forderungspapier der lak-bw zum sozialökologischen Umbau der Gesellschaft.

Harry Widmann, Engagierter der lak-bw, skizzierte seine eigene Betroffenheit: Erwerbslosigkeit, biographische Verläufe, dem Leben am gesellschaftlichen Rand, die Erfahrung der Ausgrenzung, die Systemblockaden aus primär ökonomischen Gründen, die Auswirkungen der Katastrophen der derzeitigen Inflation, der Preispolitik, der Energiekosten. Die verfügte Ohnmacht des Systems, die mangelhaft garantierte Beteiligung. Die rettenden Chancen der Selbstorganisation von Menschen in Plattformen wie der lak-bw.

Michael Karmann, Diözesan -Caritas Freiburg, führte als Sprecher des nw 2 aus, wie sich die Kosten der Energie in den Haushalten bemerkbar machen werden. Er referierte zusammengefasst den Ablauf der Woche ; er bezog sich auf die ausgegebene Pressemappe an die Vertreter der Öffentlichkeit und Presse.

Weiter im Themenfeld der sozialen Spannungen setzte auch der verdi – Vertreter Martin Gross an. Er sprach für das Rentenbündnis, bezog sich stark auf die zu erwartende Altersarmut, die Situation unzureichender Renten (vor allem von Frauen), die Schaffung des Lohnsektors von Billigjobs, die wiederum stark Frauen und Teilzeitbeschäftigte trifft. Er kritisierte die ausbleibenden Hilfen des Staates, vertrat einen Sozialgipfel in Baden-Württemberg.

Ihm folgte Barbara Baur, ebenfalls Rentenbündnis, vom Verband der Alleinerziehenden, sie selbst stellte sich als Betroffene vor, die Erfahrungen mit einem Leben in Armutsgefährdung hat. Sie versuchte klarzumachen, dass die Gegenwehr von Alleinerziehenden zu organisieren extrem schwierig sei, dass die gesellschaftliche Anerkennung fehle.

Nachgefragt wurde die Forderung eines Bedingungslosen Einkommens;  die Veranstaltung war ordentlich besucht; im Anschluss daran erfolgte ein kurzer flashmob in Form einer Schwere mit Menschen in prekären Lebenslagen. Dies war im Freien auf dem Gelände am See. Die Stadt Stuttgart erweiterte die Bannmeile des Landtages, sodass das Gelände an der Oper nicht genutzt werden konnte.

18,10.2022, Dienstag, 13Uhr: Menschenrechtsbüro – Roger-Winterhalter, Offenburg.

Die Diskussion der am 10.09.22 verabschiedeten Thesen zu 10 Jahre lak-bw, erfolgte in grosser Ausführlichkeit. In 3 Stunden wurden die ersten 4 Thesen nochmals auf ihre jeweiligen Hintergründe erörtert. Klar war, dass die gesamte Vorgeschichte der Aktivitäten der 90er Jahre, der Jahre 2000 – 2010 eine wichtige Wegstrecke zur Gründung der lak-bw gewesen sind. Die „Versammlung der Hundert“ am 10.3.2012 war sicherlich ein wertvoller Meilenstein auf diesem Wege. Die Gründungsdebatten waren inhaltlich sehr auf die zentralen Fragen der Menschenrechte, auf die Grundrechte wie auch auf die Strategie der Einmischung gerichtet.

Ebenso aber wurde erneut der Auftrag der Akteure von damals erörtert, den langen Marsch fortzusetzen. Vom „Rand ins Zentrum“ ist die These Nr, 3. Die erweitere Themenvielfalt der lak-bw und die Steuerung des Arbeitskomitee gilt als den letzten 10 Jahren eigen. Vereinbart wurde, die Diskussion um diese Thesen fortzusetzen. Sie dann als Grundlage für die nächsten Jahre zu verstehen.

Ein Nachmittag des intensiven Nachdenkens. Einzeln und im Kollektiv.

 

19.10.2022, Mittwoch, 13 Uhr, Offenburg, Alevitisches Kulturzentrum, Tag der Basis: Menschenrechte und Ökologie (notwendige sozialökologische Transformation)

Dieser Tag galt dem Thema Menschenrechte und damit in Verbindung mit den Herausforderungen des Klimawandels. In einer ausführlichen Runde stellten sich die einzelnen Diskussionsteilnehmer vor, sie erläuterten ihre Positionen und Erfahrungen, teils persönlicher Natur, in den sozialen Verbindungen, die sie vor Ort erleben, die ihr Leben in den vergangenen Jahren geprägt haben. Anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises 2022 an osteuropäische Menschenrechtsaktivisten und Organisationen (Belarus, Russland und Ukraine), stellte sich die Frage was die eigenen Erfahrungen mit den Menschenrechtsorganisationen und ihren Repräsentanten zu tun haben.

Allein der erste Hinweis war schnell genannt; Die Erfahrung der Diskriminierung als gemeinsames Merkmal in ganz unterschiedlicher Hinsicht. Strukturelle Diskriminierung durch Gesetze, Behörden, Einrichtungen, eklatante Schwächen in der Sozialen Beratung der Professionellen. Vor allem auch die mangelhafte Empathie mit dem jeweiligen Schicksal der Person.

Wir gingen noch auf den Ort ein, an dem wir waren: das Alevitische Zentrum war vor 10 Jahren am 10.03.2012 der Gründungsort der lak-bw, also schloss sich der Kreis.

Materialien wurden verteilt zu den Menschenrechtsberichten, den Diskursen zu den Menschenrechten, dem Entwurf des Selbstverständnisses des Menschenrechtsbüros Roger Winterhalter in Offenburg, so wie die Auszüge aus dem Reader zur Aktionswoche 2022 zum Zustand der Ökologie.

Der am Mittwoch stattgefundene Austausch wurde als sehr qualifiziert erlebt und bestärkte die TeilnehmerInnen, die Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Politik weiter zu suchen. Andreas Engler aus Emmendingen entschied sich, am Freitag zum Landespolitischen Gespräch nach Stuttgart zu kommen, um seine Diskriminierungserfahrungen mit dem Jobcenter exemplarisch darzulegen.

 

20.10.2022, Donnerstag, 13 Uhr,  Besprechungsraum bei Frau Pfarrerin Ehrmann, Stuttgart,  Vagabundenliteratur des 20 .Jahrhunderts

Zusammen mit dem Moderator Markus Ostermair aus München und Frau Adelgunde Mahler aus Bad Wurzach entstand ein ganz besonderer Nachmittag. Roland Saurer hatte Frau Mahler eingeladen über den eigenen Vater zu berichten, der als Sepp Mahler (1901 – 1975) zu den Literaten und Malern der Vagabunden gehörte. Verschiedene Publikationen werden von Frau Mahler eingebracht.

Er stand mit Gregor Gog ,Stuttgart, dem „König der Vagabunden“ in Verbindung, auch mit den Malern innerhalb der Vagabunden, z. B. Böninghausen oder Tombrock. Ausstellungen in Stuttgart 1929.  Frühe Ausstellungen auch in Berlin. Sepp Mahler war in der Zeit des Dritten Reiches ein Verfemter, war mehre Wochen 1933 in Schutzhaft; seine Werke galten als „entartete Kunst“, seine Dichtung wurde ebenso denunziert und verhindert und seine Prosatexte und seine Tagebuchnotizen wurden verboten. Malereiverbot 1935 – 1945. (siehe Reichsschrifttum-Kammer)

Sepp Mahler wurde in den Krieg eingezogen, dann als krank und geschunden entlassen. Lernt eine Frau aus der Hohenlohe kennen, heiratet 1943 und 1944 wird die Tochter Adelgunde geboren. Frau Mahler berichtete ausführlich vom Leben ihrer Familie, von der Geschichte und dem Leben in Bad Wurzach, von dem Leben mit und  in der Torfstecherei. Geboren wird Frau Mahler im Leprosenhaus der Stadt Wurzach, der Großvater Mahler baute dort ein Haus in der Ravensburgerstrasse.             1975 verstirbt Sepp Mahler, die Tochter verwaltet das umfangreiche inhaltliche Erbe. Die Mutter Mahler verstirbt 2009 mit rund 100 Jahren.

Mahler ist heute ein gefragter Name, in der Kulturszene Oberschwabens, in der deutschen Malerei, in der Vagantenliteratur. Zusammen mit Gog war er der Herausgeber des „Vagabunden“ in den 30er Jahren, gehörte auch der Bruderschaft der Vagabunden an. Frau Mahler war für alle Fragen extrem offen, es deutete sich an, dass eine weitere Zusammenarbeit mit ihr vorstellbar ist. Angedacht ist in 2023 eine Begegnung in Bad Wurzach; es gibt weitere Interessierte an diesem Projekt aus Oberschwaben, aber auch aus dem Württembergischen Raum. Zur Zeit Ausstellung in Meersburg, Pläne eine Stiftung zu etablieren.

Bei dieser Runde waren rund 15 TeilnehmerInnen, auch 3 Betroffene aus dem Bundesgebiet.

 

21.10.2022, Freitag, 10.30 Uhr, Stuttgart, Cafe Tempus: Landespolitisches Gespräch (10 Jahre Armutsbekämpfung, Armut im Klimawandel, Politische Bildung und Landesverfassung)

Zu diesem Landespolitischen Gespräch, einem Format das wir seit mehreren Jahren entwickelt haben, waren die Vertreter der Landtagsfraktionen aus dem Landtag Baden-Württemberg eingeladen, Alle Fraktionen waren vertreten, leider muisste Herr MdL Ansgar Mayr aus der >CDU Fraktion kurzfristig absagen. So waren MdL Poreski (Grüne) , Mdl Reith (FDP), MdL Florian Wahl (SPD) für die Zeit bis 13 Uhr anwesend.

Die Moderation lag bei Anja Dargatz, Fiedrich – Ebert-Stiftung und Jan Sellner von der Stuttgarter Zeitung. Die Veranstaltung wurde von ganz unterschiedlichen Personen besucht. Politiker, Mitarbeiter der Ministerien. Presse, Lobbyisten der Verbände, betroffene bzw. aktive Menschen aus den Zonen der Armutsgefährdung bzw. aus prekären Lebensverhältnissen.

Zunächst hatte der Vertreter des Sozialministeriums das Wort. Dr. Michael Wolff nutze dies zu einer Übersicht über die Entstehung des Armutsberichts 2012/2015, die Funktion des Beirates, die Entwicklung von gezielter Förderung auf Landesebene, von Projekten und Strategien des Sozialministeriums. Für ihn alles ein Paradigmenwechsel und die Gründung und die Kooperation mit der LAK-BW eine Zeitenwende. Er verwies auf die akuten Hilfspakete des Bundes, die Mitsteuerung des Landes, die Steuerung des Sozialministeriums, um die schlimmsten Auswirkungen des Jahres 2022/23 abzufangen.

Anja Dargatz moderierte nach diesem Part die Beiträge diverser VertreterInnen der Basis, die diesem Tag eine besondere Note verpassten:

Doris Kölz machte Ausführungen aus Sicht der lak-bw zu 10 Jahre Armutsbekämpfung in BaWü, zu Fragen der Politischen Bildung, zu Integration von Menschenrechten und Grundrechten in die Landesverfassung. Sylvia Witzemann, lak-bw und verdi, schilderte das Leben mit Erwerbslosigkeit, Hartz IV und Krankheit.

Harry Widmann, lak-bw,  zog Bilanz der Krise und die absolute Notwendigkeit, dass der Staat interveniert und dem Kapital Grenzen setzt. Dass die betroffenen Menschen Plattformen der Selbstmandatierung brauchen.

Klaus Harder, Flüchtlingsrat,  beschrieb wie die weltweite Klimakrise in den Ländern ausserhalb Europas Fluchtbewegungen bereits jetzt auslöst, dass wir uns auf ein Leben mit massivem Druck von aussen gefasst machen müssen, dass wir nicht nachlassen können, Menschenwürde für alle Menschen in Europa und Deutschland zu sichern.

Ein Text eines jungen Obdachlosen, HD-Bündnis, aus Heidelberg zeigte, wie sich junge Menschen auch auf der Strasse Gedanken machen, wie sie mit dem Klimawandel umgehen können. Teils mit der Hitze in diesem Sommer, aber auch mit der zu erwartenden Kälte und Knappheit im Winter.

Andreas Engler, lak-bw und wlh Emmendingen,  beschrieb seine eigene Obdachlosigkeit, wie er ohne Unterstützung lebte, wie sein Zelt verbrannte, wie er monatelang nur vom Betteln lebte. Wie auf den Behörden keinem was einfiel, um seine Obdachlosigkeit zu beseitigen. Nicht einmal den Verweis auf Tagesätze nach SGB II und Krankenversicherung gab es. Derzeit fand er Unterschlupf in der Wohnungslosenhilfe Emmendingen, Was er erzählte und darlegte, liess einen stocken. Kann das alles sein mitten in unserem Land?

Den Schluss bildeten zwei Beiträge der Demokratiebegleiter von der Neuen Arbeit Stuttgart: eine betroffene Frau schilderte den Frust , den das derzeit diskutierte Bürgergeld bei ihr auslöst, wie gering die Erwartungen gegenüber den versprochenen Verbesserungen sind.

Ernst Peter berichtete vom Wahlverhalten in Deutschland, von reichen Stadtteilen mit 90 % Wahlbeteiligung und von Stadtteilen (Köln-Chorweiler) mit einer Wahlbeteiligung von nur um die 40 % bei der letzten Bundestagswahl. Diese gesellschaftliche Ungleichheit hat Ursachen. Menschen am Rande, Haushalte in Armutslagen, versprechen sich nichts von einer Wahlbeteiligung. Für sie bleibt Politik lokal, regional, national, europäisch ein Fremdkörper. Allenfalls nimmt man noch an Protestwahlen teil.

Wenn sich was verändern soll, dann muss man das Wollen, dann muss man es Können und dann müssen dafür Ressourcen geschaffen werden. Personal, was niederschwellig arbeitet und Konzepte , die den Betroffenen weiterhelfen, die ihre Welt und ihre Lebensverhältnisse aufgreifen.

Nach diesem Part übernahm Jan Sellner von der Stuttgarter Zeitung die Moderation. Er holte die Politiker an einen Infotisch, optisch dekorativ,  und wollte wissen, was diese nun aus dem Gehörten aufgreifen oder gar mitnehmen.

Alle drei Vertreter des Landtages schienen (sehr) betroffen zu sein, was da auf sie einströmte. Sie suchten zunächst emotional mit dem Publikum in Verbindung zu kommen. Keinerlei Verurteilungen, wenig Abwehr gegenüber dem Gesagten. Allenfalls Zweifel, ob man denn auf dem richtigen Weg sei.

Nach 10 Jahren Armutsbekämpfung in BaWü: weiter hohe Zahlen der Ausgrenzung und Armut, Programme und Bemühungen, aber auch viel was auf der Strecke bleibt. MdL Florian Wahl hegte am deutlichsten Zweifel an den Erfolgen; plädierte eher für eine generelle Berichterstattung nach             7 Jahren, seit der Erste Armuts- und Reichtumsbericht erfolgt ist. MdL Thomas Poreski zog grössere Bögen von langfristigen Abläufen, die Strukturen verändern, neben dem unverzichtbaren Ausbau aktueller Hilfen.

MdL Nicolai Reith, FDP gab sich offen für Begegnung und Dialog, für menschliche Hilfen, für den Ausbau der Systeme vor Ort. Für Chancen von housing first, für den Ausbau der Landespolitik in Sachen Soziales und die absolute Sicherung des Sozialen Zusammenhalt.

In einer lebhaften Diskussion des Plenums incl. einzelner Akteure ging es um eine qualifizierte Berichterstattung, um Formate der Diskussion im Land über den Stand der Dinge in BaWü; es ging um die Wirkung der Programme, die Wirkung und Notwendigkeit der Erwerbslosenberatungs-einrichtungen in BaWü, um die beste Organisation der Politik sozialer Konzepte. Um die Absicherung des Sozialen im Doppelhaushalt, die Sicherung der Infrastruktur vor Ort, um evtl. Hilfen für Einrichtungen, um sie offen zu halten oder offen zu sein. Diskussionen um einen sozialen Rettungsfond von Mrd. Euro in BaWü.

In den Diskussionen ging es um den Klimawandel. Um den Druck, keine Zeit mehr zu verlieren, um die Beteiligung der Menschen auszubauen; um die notwendige Politische Bildung der Menschen in prekären Lebenslagen, um die Schaffung des Rechtsanspruchs auf einen eigenen Unterstützungsrahmen für Kinder- und Jugendliche (Kindergrundsicherung). Um ein Ende der „Vertafelung“ unserer Gesellschaft.

Die Politiker luden ein, die nächste Debatte „Landespolitisches Gespräch“ in 2023 direkt im Landtag selbst zu führen.

Insgesamt ein gutes Format liegt hinter uns. Breite Beteiligung. Menschen, die betroffen sind berichten von ihren politischen wie individuellen Positionen. Menschen, die aber in der Regel einer Organisation angehören, die die Zone des Schweigens verlassen haben, die sich einmischen wollen und weiter werden.

 

Hinweis: Informationen in den homepagen der lak-bw, der Liga der Wohlfahrtsverbände,  Baden-Württemberg, auch in lokalen Berichten und Zeitungen in Baden-Württemberg beachten.

23.10.2022, RS.