Aktionswoche 2019 „Der Mensch ist mehr als eine Zahl“:

 

Soziale Ungleichheit in digitalen Zeiten

Digitalisierung wird weltweit in atemberaubendem Tempo vorangetrieben, sie ist mittlerweile für uns alle wahrnehmbar – in nahezu sämtlichen Lebensbereichen – Letztendlich sind deren Effekte und Dynamik unumkehrbar und untrennbar mit unserer Zukunft verbunden. Doch wer gestaltet die Regeln dafür?

Sind zum Beispiel Staaten und Regierungen noch in der Lage, mittels Gesetzen die Rahmenbedingungen für global agierende Konzerne in der digitalen Welt vorzugeben? Wie sieht es beim ‚Hypertrading‘ an der Börse und anderen Finanzschauplätzen aus, wo in Sekundenbruchteilen reelle und virtuelle Werte kreuz und quer über den Globus gehandelt werden und den Staaten womöglich gigantische Summen an Steuergeldern verloren gehen (Stichwort ‚cum-ex-trading und Transaktionssteuer‘).Die Entwicklung verläuft derart rasant, dass IT-Studenten schon heute teilweise über mehr Wissen verfügen, als ihre Dozenten – viele gehen nach ihrem Abschluss in die freie Wirtschaft, die ihnen hohe Gehälter bietet. In 2018 machte die Befragung von facebook-Boss Marc Zuckerberg (Cambridge-Analytica Skandal) durch den US-Kongress überdeutlich, dass viele Senatoren überhaupt keine Ahnung von der Tragweite dessen haben, was in digitalen Welten schon Wirklichkeit geworden ist. Viele Fragen die gestellt wurden, waren schlichtweg harmlos oder nicht zielgerichtet.

Ist der Mensch im Jahr 2019 tatsächlich mehr als Zahlen und Algorithmen über die er/sie eingeordnet ‚geranked‘ wird anhand Kaufkraft, Bewegungsprofil, Wohnort, Konsumverhalten? Sind Staaten heute in der Lage, ihre BürgerInnen vor Willkür und Datenhunger zu schützen – oder spielt der Staat selbst willfährig mit? Alle wissen letztendlich, was im Hinblick auf staatliche, digitale Überwachung der BürgerInnen Chinas geschieht. Minderheiten, wie die Uiguren sehen sich besonderen Repressionen des Zentralstaates ausgesetzt: das System schlägt bereits Alarm, wenn eineR von ihnen, ständig durch unzählige Kameras überwacht, mehr als 100 Meter vom üblichen Weg Arbeitsstätte-Wohnung abweicht. Die Romane von George Orwell, Aldous Huxley und William Gibson sind in der Zwischenzeit zur Realität geworden in einigen Ländern.

Wie ergeht es den Schwachen in den Gesellschaften, denen, die mit dem technischen Fortschritt nicht mithalten können oder wollen? Wer besitzt meine Daten, wie werden diese international vernetzt und abgeglichen?

Laut Wall Street Journal wurden bereits im Jahr 2012 online angebotene Dienstleistungen, Reisen, Hotelzimmer und andere Produkte bis zu 30% teurer verkauft, je nachdem – ob man diese mit einem Windows oder Apple-PC gebucht hatte. Dies ist auch heute noch der Fall, wie die Bundesnetzagentur im Juni 2019 feststellen konnte. Das stellt eine klare soziale Benachteiligung von Apple-Usern dar, die schlicht auf bewusst implantierte Algorithmen zurückzuführen ist, welche beim Kauf das benutzte Gerät identifizieren. Laut Untersuchungen von Orbitz Worldwide Inc., einer Reise-Meta-Suchmaschine, zum Konsumverhalten von Onlne-Shoppern, sind eben Apple-User bereit, wesentlich mehr Geld auszugeben. In diesem Zusammenhang sprechen KritikerInnen von „Überwachungskapitalismus“. Bei der Recherche zu Orbitz Inc. wurde der Verfasser ausdrücklich von seinem installierten Ad-Blocker davor gewarnt, deren Hauptseite auch nur anzusurfen, da Daten zu Analysezwecken (Position, Verweildauer, Konsum- und Surfverhalten) angefragt würden

Weltweit nimmt der Einsatz biometrischer Daten und Technologien bei der Vergabe von Sozialhilfe und anderen staatlichen Transferleistungen zu. Dieser Trend ist überaus bedenklich.

In Südafrika gibt es rund 17,2 Millionen BürgerInnen, die auf Transferleistungen des Staates angewiesen sind. Sie erhalten diese Zahlungen auf ein Konto, dass mit der neu eingeführten ‚SmartCard‘ verknüpft ist. Bei dieser Smart-Card handelt es sich de facto um eine Kreditkarte, eine Mastercard. Hier sehen wir also die Verbindung zwischen staatlichen und privaten Autoritäten und Unternehmen, die gemeinsam auf sämtliche Daten des Karteninhabers/der Karteninhaberin Zugriff haben. Sämtliche Transaktionen sind für Staat und Konzern in Echtzeit einsehbar. Die Einspeisung dieser Datensätze in weitere Datenbanken ist problemlos möglich sowie für die Betroffenen nicht einsehbar oder nachvollziehbar.. Dies schreibt die mexikanische Autorin Magdalena Sepúlveda in ihrem auch auf deutsch erschienenen Artikel ‚Datenschutz nur für Reiche?‘ Weiterhin führt sie aus: „In Mexiko müssen die 55,6 Millionen Versicherten von Seguro Popular (die staatliche Krankenversicherung für die ärmsten Bürger) ihre biometrischen Daten an die Behörden weitergeben. Die weltweit größte biometrische Datenbank – Aadhaar – befindet sich in Indien. Da die Aufnahme in Aadhaar eine Voraussetzung für den Zugang zu mehreren Sozialprogrammen ist, sind 95 Prozent der 1,25 Milliarden Einwohner des Landes bereits erfasst.“

Was können also NGO‘s und Initiativen tun, um besseren Datenschutz für uns BürgerInnen und im Speziellen für diejenigen in unserer Gesellschaft zu erreichen, denen es nicht so gut geht, die keine starke Lobby hinter sich haben, welche ihre digitalen Rechte vertritt?

Als Erstes gilt es für uns alle selbst das Bewusstsein zu schärfen, dafür, dass sich der soziale Verteilungskampf und die Auswirkungen des Turbokapitalismus eben auch – und umso mehr in digitalen Netzen auswirken.

Man sollte unbedingt auf das Prinzip einer Firewall auf seinen internetfähigen Geräten setzen, um Apps und Programmen die Hintergrundkommunikation, das Senden und Empfangen von Daten zu untersagen, sofern das nicht erforderlich und gewünscht ist. Sprachassistenten wie Cortana und Siri, die stets als Datenschleudern groß abräumen bei den unbeliebten ‚Big-Broher-Awards‘ sowie Positionsdienste wie GPS oder Google sollten generell abgeschaltet bleiben. Die wenigsten tun dies bisher, obwohl mittlerweile gute, kostenlose Firewalls existieren, hier kommt laut einer Studie des russischen IT-Security-Unternehmens Kaspersly ein Aspekt der sogenannten Datenhygiene ins Spiel. Wem überlasse ich meine Daten absichtlich oder gar fahrlässig – Apple lässt Firewalls auf seinen iPhones gar nicht erst zu, was aus Konzernsicht verständlich ist, aus Sicht der User absolut inakzeptabel.

Die Verordnung der Europäischen Union zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr ist ein Beispiel, wie ansatzweise unsere Daten geschützt werden sollen.

Diese europäische Datenschutz-Grundverordnung garantiert ab 2018 NutzerInnen leichteren Zugang zu ihren Daten. JedeR hat das Recht zu erfahren, welche Daten über ihn/sie gesammelt werden. Zudem haben NutzerInnen Anspruch auf klare und leicht verständliche Informationen, wer seine/ihre Daten zu welchem Zweck wie und wo verarbeitet. Die Verordnung erstreckt sich ebenfalls auf US-Unternehmen, die ihre Dienste in Europa anbieten und wird weltweit als Maßstab gesehen, obwohl sie sicher nur ein Anfang sein kann.

Wie so oft beginnt die Reise bei uns selbst – Organisationen müssen zukünftig lernen, im Bezug auf sozialpolitische Ansätze sensibel mit heiklen digitalen Themen umzugehen und ständig den expandierenden technischen Fortschritt internationaler Multis im Auge zu behalten.

Mathias Becker – LAK, NW I