Kinderarmut ist nicht hinnehmbar

Drei Schritte gegen Kinderarmut – Forderungen zur BundestagswahlNak

Es ist ein Skandal: Rund 3 Millionen Kinder in Deutschland sind nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen. Jedes fünfte Kind lebt in Armut. 1,8 Millionen Kinder beziehen Grundsicherungsleistungen, davon leben knapp 1 Million Kinder in Alleinerziehenden-Haushalten.

Materielle Armut ist der zentrale Risikofaktor für ein gutes Aufwachsen von Kindern.  Armut bedeutet einen ständigen Mangel in der materiellen Grundversorgung. Armut schränkt die Bildungschancen von Kindern, ihre gesundheitliche Entwicklung und ihre kulturellen und sozialen Beteiligungsmöglichkeiten ein.

Im Herbst 2017 findet die nächste Bundestagswahl statt. Die Programmdiskussion in den Parteien läuft. Die unterzeichnenden Organisationen rufen die Parteien auf, wirksame Konzepte vorzulegen, die die Armut von Kindern und Jugendlichen in Deutschland und Ungerechtigkeiten im Familienlastenausgleich beseitigen.

Die Unterzeichnenden dieses Aufrufs werden aufmerksam verfolgen, welchen Stellenwert dieses Thema in Wahlprogrammen, Koalitionsvereinbarungen und Gesetzgebungsvorhaben erhält und immer wieder einfordern, dass wirksame Maßnahmen umgesetzt werden.

Wir fordern drei konkrete Schritte, um die materielle Situation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern:

  1. Das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern muss transparent und realistisch ermittelt und zuverlässig gewährleistet werden.
  • Der derzeitige sozialrechtliche Mindestbedarf ist zu gering und schreibt Kinderarmut fest. Bei einer Neuermittlung können nicht nur die unteren 20 % einer Vergleichsgruppe Hinweise geben. Erhobener Mangel, der dann zum Maßstab für Regelsätze wird, bleibt Mangel.
  • Ergänzende Erhebungen zu Ernährungs- und Kleidungsnotwendigkeiten, tatsächlichen Schulbedarfen, Mobilitätskosten und Teilhabebedarfen sind nötig.
  • Auch besondere Bedarfe von Kindern sind transparent, sach- und realitätsgerecht zu ermitteln. Hierzu gehört auch, den Umgangsmehrbedarf für Kinder mit getrennt lebenden Eltern zu berücksichtigen.
  • Es bedarf eines einheitlichen soziokulturellen Existenzminimums, das für alle Kinder gilt. Wir fordern ein in sich stimmiges Gesamtsystem aus familienpolitischen Leistungen und anderen Sozialleistungen.

2.  Die Ungerechtigkeiten in der Familienförderung sind abzubauen.

  • Die Förderung von Familien muss sich an der Übernahme von Fürsorgeverantwortung für andere und nicht am formalen Status Ehe festmachen. Familien müssen in allen Lebensformen und Lebensphasen unterstützt werden.
  • Die Familienförderung muss zudem sozial gerechter und transparenter ausgestaltet werden. Aktuell werden Kinder gutverdienender Eltern durch die Kinderfreibeträge stärker gefördert als die Kinder Erwerbsloser oder mittlerer Einkommensbezieher/innen.
  • Das Kindergeld wird im SGB-II-Leistungsbezug mit dem Sozialgeld vollständig verrechnet. Daher gehen Kindergelderhöhungen an in Armut lebenden Kindern vorbei.
  • Leistungen wie der Unterhaltsvorschuss oder der Kinderzuschlag sind so zu konzipieren, dass sie dem hohen Armutsrisiko von Kindern Alleinerziehender wegen mangelnden Unterhalts entgegenwirken.

3. Leistungen müssen einfacher gestaltet und für die Berechtigten leichter zugänglich sein.

  • Bislang sind viele der sozial- oder familienpolitischen Leistungen bei unterschiedlichen Behörden oder Ämtern zu beantragen. Es muss aber gelten: jede Tür in die Familienförderung und in das Sozialsystem sollte zu allen Hilfen führen, die Kindern und Familien zur Verfügung stehen.
  • Die geltenden Antrags- und Verrechnungsregelungen für unterschiedliche Leistungen, die sich auf dasselbe Kind beziehen, sind nur schwer nachvollziehbar und konterkarieren die eigentliche Zielsetzung der Familienförderung.
  • Langfristig sollen Familien alle Leistungen für ihre Kinder über eine Stelle in einem Auszahlungsbetrag beziehen.

Wir stellen fest:

Kinder und Jugendliche haben laut UN-Kinderrechtskonvention ein eigenständiges Recht auf soziale Absicherung und ein Recht darauf, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Zwar tragen die Eltern die Verantwortung für das Aufwachsen ihrer Kinder. Der Staat ist aber dazu verpflichtet, Rahmenbedingungen und Geldleistungen so zu gestalten, dass Eltern ihren Kindern einen ausreichenden Lebensstandard sichern können.

Um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, brauchen wir neben monetären Leistungen für Familien, Kinder und Jugendliche auch eine bessere soziale Infrastruktur. Monetäre Leistungen und Infrastrukturangebote dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, Kinder und Familien brauchen einen Mix aus beidem. Die Kommunen, die Länder und der Bund müssen gemeinsam ihre Verantwortung für  die Ausgestaltung der Daseinsvorsorge wahrnehmen.  Das geltende Kooperationsverbot zwischen Bund und Kommunen erschwert, vor Ort bedarfsgerecht in die soziale und familienorientierte Infrastruktur und präventive Hilfen zu investieren.

Um die Armut von Kindern und Jugendlichen zu bekämpfen, muss auch etwas gegen die Armut der Eltern unternommen werden. Gute Arbeit, die beiden Eltern eine eigenständige Existenzsicherung wie auch Zeit für Fürsorge ermöglicht, ist dafür ebenso notwendig wie die Schaffung guter Qualifizierungs- und Weiterbildungswege und der Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigungsmöglichkeiten.

Viele sozial- und familienpolitische Leistungen werden von den Leistungsberechtigten  wegen der damit verbundenen Kontroll –und Sanktionsmechanismen oder wegen zu komplizierter Regelungen nicht in Anspruch genommen. Das gilt für 40% der Leistungsberechtigten in der Grundsicherung und für einen großen Teil der Anspruchsberechtigten beim Kinderzuschlag. Diese versteckte Armut geht auch und gerade zu Lasten von Kindern. Der Staat muss aktiv  dafür sorgen, dass Leistungsansprüche realisiert werden: Wer Rechte hat, muss auch Recht bekommen. Dafür müssen Leistungsberechtigte besser über ihre Rechte aufgeklärt werden und Leistungen müssen so transparent, stigmatisierungsfrei und unbürokratisch wie möglich ausgestaltet werden.