Die Landesarmutskonferenz LAK Niedersachsen zur Anhörung über die Landtagsentschließung „Landesprogramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit – Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren!“

Liebe Freunde und Mitstreiter der Landesarmutskonferenzen,

die Landesarmutskonferenz Niedersachsen nimmt Stellung zur Anhörung zum „Landesprogramm zum Abbau von Langzeiterwerbslosigkeit – Arbeit statt Erwerbslosigkeit finanzieren!“ welches von den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Landtag diskutiert wurde

Die LAK fordert seit langem die Einführung eines öffentlich geförderten
Beschäftigungssektors ÖBS für Langzeiterwerbslose zu fairen Bedingungen.
Die LAK begrüßt die Initiative der Landtagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Einführung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors für Langzeiterwerbslose zu fairen Bedingungen in Niedersachsen aus mehreren Gründen:
1 . Aus der Sicht der Abschlusserklärung der LAK zum Fachtag „Arbeit. Armut. Würde. Für eine Zukunft ohne Zumutungen!“ vom 17. November 2015:
Zitat: „… Erschreckend ist die Lage der Erwerbslosen. Ihre Armutsgefährdung stieg von 50 auf 58 Prozent, mehr als jeder zweite Arbeitslose lebt also in Armut. Niedersachsen braucht
daher einen öffentlichen Beschäftigungssektor („sozialer Arbeitsmarkt“) für
Langzeiterwerbslose mit fairen Bedingungen. Langzeiterwerbslose sollten bei Kommunen und Wohlfahrtsverbänden auf freiwilliger Basis zu regulären, tariflichen Bedingungen beschäftigt werden. Damit wäre ein doppelter Nutzen verbunden: Zum einen der individuelle Nutzen der Förderung, der in der Teilhabe an Erwerbsarbeit und dem Ausbau der Arbeitsfähigkeit der Geförderten besteht und zum anderen der gesellschaftliche Nutzen, welcher durch zusätzliche, aber gesellschaftlich relevante Waren- und Dienstleistungsproduktion gekennzeichnet ist. Diese Beschäftigung muss allerdings zusätzlich und im öffentlichen Interesse sein, d.h. sie darf reguläre Beschäftigung nicht verdrängen.“
Die LAK begrüßt die Initiative
2. Aus Sicht der Betroffenen
Die Landesarmutskonferenz hat in letzter Zeit den Kontakt zu Betroffenen und ihren Initiativen verstärkt. Der Ansatz der LAK: Mit den Betroffenen reden, nicht über sie. Insofern unterstützt die LAK die Sicht der Betroffenen.
Zitat aus dem Papier „Ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor (ÖBS) für Langzeiterwerbslose aus der Sicht von Erwerbslosen“ vom Oktober 2015

„ …Wir Erwerbslose wollen Arbeit. Wir wollen Arbeit, die existenzsichernd ist und die Teilhabe am gesellschaftlichen Ganzen in Würde ermöglicht.
Wir Erwerbslose lehnen ab: Ein-Euro-Jobs und Billiglöhne. Das tun wir auch im Interesse der (Noch-) Jobbesitzer. UnsereErwerbslosigkeit und der Zwang zu jeder Arbeit, egal wie sie aussieht, ist das Druckmittel, mit dem Jobbesitzer zu Absenkung von Löhnen, Arbeitsplatzsicherheit und Standards gezwungen werden.
Wir fordern daher die Einführung eines öffentlich geförderten
Beschäftigungssektors (ÖBS) für Langzeiterwerbslose in Niedersachsen!
Dieser öffentlich geförderte Beschäftigungssektor muss folgende Bedingungen erfüllen:
– freiwillig. Niemand darf zur Teilnahme verpflichtet werden.
– existenzsichernd (tarifgebunden, jedoch min. 1.500 € brutto bei 35h-Woche).
Unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungen von Langzeiterwerbslosen sollte eine Regelarbeitszeit von 30 Stunden gelten.
– längerfristig (3-5 Jahre, ab 60. Lebensjahr direkter Übergang in die Rente)
– vorrangig für Menschen im SGB II-Bezug.
– Psychosoziale Betreuungsangebote und Qualifizierungsmaßnahmen müssen Bestandteil des ÖBS sein. Langzeiterwerbslose haben oft mehrere Vermittlungshemmnisse wie Krankheit, Schulden, Drogenprobleme etc.
….
Es ist Zeit zu akzeptieren, dass die jahrelange Praxis von Hartz IV „Fordern statt Fördern“ gescheitert ist. ….Runde Tische, Beiräte und Erwerbsloseninitiaven sind in die Vorbereitung eines ÖBS mit einzubeziehen. Unsere Forderung nach einem ÖBS ist auch ein Einsatz gegen die immer größer werdende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich.“ Die LAK begrüßt die Initiative
3. Aus Gründen der Integration und Teilhabe
Fast jeder 6. Niedersachse ist von Armut bedroht. Sie leiden unter einer deutlich erhöhten Mortalitäts- & Morbiditätsrate, wer früher stirbt, war länger arm:
– Arme Männer sterben 11 Jahre früher, Frauen 8 Jahre
– Depressions- und Suizidrate ist um bis zu 20fach erhöht
– Deutlich erhöhtes Risiko bei Herzinfarkten, Schlaganfällen, Lungen- und Magenkrebs, Diabetes und degenerativen Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems. Herzinfarkt als Managerkrankheit ist eine Schimäre. Er ist die Krankheit von Armen.
– Armut ist Mangel an soziokultureller Teilhabe an der Gesellschaft
– Armut ist Mangel an politischer Partizipation (Wahlergebnisse in sozialen Brennpunkten)
– Armut bedeutet wohnräumliche Segregation
Die LAK begrüßt die Initiative
4. Aus gesellschaftspolitischer Sicht
Zitat aus der Abschlusserklärung zum Fachtag „Arbeit. Armut. Würde. Für eine Zukunft ohne Zumutungen!“ vom 17. November 2015:
„…erhält jedoch die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich durch die aktuelle Flüchtlingssituation zusätzliche Brisanz. Brandanschläge und offene Gewalt von Rechtsextremen vor Flüchtlingsunterkünften belegen: Sozial benachteiligte Gruppe werden gegeneinander ausgespielt und dieser Konflikt wird auf dem Rücken der Schwächsten, von
Flüchtlingen, ausgetragen. Diese Konflikte sind nur dann zu lösen, wenn Armut nachhaltig bekämpft wird.“
Ein ÖBS ist ein Beitrag zu nachhaltiger Armutsbekämpfung. Die Schere zwischen Arm und Reich ist nach viel zu langer Zeit des Leugnens, Verschweigens und Verdrängens in letzter Zeit zu einem politischen Topthema geworden. Wahrscheinlich im Herbst 2016 erscheint der
fünfte Armuts- und Reichtumsbericht. Es wäre zu begrüßen, wenn sich Niedersachsen in diesem Zusammenhang mit einem konkreten Schritt wie dem ÖBVS öffentlich politisch positioniert. Und:
– Auf das Kriterium der Zusätzlichkeit und öffentliches Interesse sollte nicht verzichtet werden. Wir haben eine Unterbeschäftigungsquote, die die Zahl der offiziell gemeldeten Erwerbslosen vermutlich um mehr als das Doppelte übersteigt. Die Anzahl der absolut geleisteten Arbeitsstunden ist in den letzten 15 Jahren gleich geblieben, die Zahl der Arbeitsstunden pro Kopf deutlich gesunken. Das Arbeitsvolumen ist also nicht ausgeweitet.
Der Verzicht auf Zusätzlichkeit und öffentliches Interesse würde daher auf reine Substitution von regulärer Arbeit hinauslaufen. Es gibt genug gesellschaftlich notwendige Arbeit, die nicht bezahlt wird.
– Es sind nicht nur materielle Entbehrungen, unter denen Langzeiterwerbslose und Armutsbetroffene leiden, es ist auch die Missachtung ihrer Würde. Ein ÖBS in der im Entschließungsantrag vorgestellten Form ist sicher nicht der Königsweg zu nachhaltiger
Armutsbekämpfung, aber er ist ein notwendiger Schritt.
Wünschenswert wäre zukünftig eine Beteiligung von Betroffenen an derartigen Abstimmungsprozessen wie dem vorliegenden.
Klaus-Dieter Gleitze – Landesarmutskonferenz LAK Niedersachsen
14.06.2016