Eine vorläufige Bilanz: 20 Jahre NATO-Krieg in Afghanistan

Konferenz der Friedensbewegung

Erklärung des Trägerkreises

Militärinterventionen dürfen kein Mittel deutscher Außenpolitik sein. Sie verletzten das Völkerrecht, sind inhuman, menschenverachtend und lösen kein politisches Problem. Kriege – wie auch der in Afghanistan – werden um geostrategische, handelspolitische Interessen, um Ressourcen und politischen Einfluss geführt. Alle Auslandseinsätze der Bundeswehr sind auch deshalb umgehend zu beenden. Stattdessen ist ein Paradigmenwechsel zu einer zivilen Sicherheits- und Friedenspolitik notwendig. Das ist das Fazit der Afghanistankonferenz „20 Jahre NATO-Krieg in Afghanistan – eine vorläufige Bilanz“.

Eine Woche nach dem 11. September 2001 erhielt der Präsident der USA durch eine „Joint Resolution“ von Senat und Kongress die gesetzliche Grundlage, auf das Ereignis mit militärischen Mitteln zu reagieren. Die US-Regierung startete den Angriff auf Afghanistan und erklärte einen „Krieg gegen den Terror“, für den sie Unterstützung von UN und NATO-Partnern suchte. Die Invasion und Besetzung Afghanistans war keineswegs eine legitime Maßnahme gegen terroristische Angriffe, da von Afghanistan kein Angriff auf die USA ausgegangen war. Sie waren keine Selbstverteidigung, sondern eine völkerrechtswidrige Aggression. Und es war von Anfang an absehbar, dass sie das ohnehin geschundene Land weiter ins Elend stürzen und unzählige Opfer fordern würde. Der bislang 20-jährige „Krieg gegen den Terror“ wütete schlimmer als der Terror von 9/11 selbst, forderte hohe Opferzahlen und stärkte nicht nur in Afghanistan dschihadistische Gruppen.
Die aus Friedensforschung und –bewegung vorgetragenen Vorschläge, auf die mörderischen Ereignisse des September 2001 mit internationalen juristischen, zivilen und polizeilichen Maßnahmen zu reagieren, wurden von militärisch denkenden, dominierenden Machteliten weltweit auch in Deutschland restlos ignoriert. Eine internationale gerichtliche Aufarbeitung fand nie statt.

Die nach dem scheinbaren Sieg gegen die Taliban gefahrene Strategie der Staatsbildung nach US- oder westlichem Vorbild förderte ein korruptes und inkompetentes politisches System. Die Tagung zeigte auf, dass die behauptete Förderung von Demokratie und Menschenrechten in Afghanistan eine vorgeschobene Rechtfertigung blieb. Stattdessen wurden mit terroristischen Luftangriffen, Drohnen-Beschuss, Depleted-Uranium und verbrecherischen Massakern die elementaren Rechte einer weitgehend wehrlosen Bevölkerung auf Leben, körperliche Unversehrtheit, und friedliche Entwicklung massiv verletzt. Mehrere Hunderttausend Tote und eine noch größere Zahl von Verwundeten und Vertriebenen sind die Folge. Unter den angeblichen Zielen der Terrorbekämpfung und des Staatsaufbaus wurden geostrategische Großmachtinteressen, Zugriff auf Rohstoffressourcen und Subventionierung des militärisch-industriellen Komplex‘ durchgesetzt.

Deutschland hat sich bei der völkerrechtswidrigen Invasion in Afghanistan mitschuldig gemacht.
Das Ergebnis der Konferenz ist ein Beitrag gegen die Täuschung der Öffentlichkeit über die wahren Motive von USA und der NATO beim 20-jährigen Afghanistan-Feldzug und darüber hinaus. Aus dem NATO-Krieg gegen Afghanistan die richtigen Schlüsse zu ziehen, bedeutet für Deutschland und die NATO-Kriegsparteien:

  • die Einstellung militärischer Interventionen zur Durchsetzung eigener Großmachtinteressen, und ein Ende des Versuchs, anderen Ländern die eigene politische Ordnung überstülpen zu wollen. Die eigenständige Entwicklung anderer Länder, insbesondere von schwächeren, wirtschaftlich rückständigen Nationen muss respektiert werden. Wir treten ein für ein Zusammenwirken auch mit der Taliban Regierung, bei  Beachtung der Prinzipien der UN- Menschenrechtscharta und der UN-Frauenrechtskonvention.
  • der vielbeschworenen Verantwortung für Menschenrechte ist gerecht zu werden, indem wir den vor NATO-Kriegen Geflohenen die nötige Unterstützung zukommen lassen und ihnen in Deutschland eine Bleibeperspektive bieten.
  • Ohne erneute Bevormundung sind ausreichende finanzielle und materielle Mittel für einen Wiederaufbau Afghanistans zur Verfügung zu stellen und angemessene Entschädigungen für angerichtete Schäden an die Opfer und ihre Angehörigen zu leisten.
  • ein Konzept menschlicher Sicherheit zu entwickeln, das Schutz vor Klimakatastrophen, Mangelernährung, Vertreibung und sozialer Verelendung schafft, statt eine militärisch gestützte Sicherheit zu verfolgen, die sich vorwiegend an den eigenen Rohstoff- und Profitinteressen orientiert.
  • den 2% Beschluss der NATO von 2014, der die Mitgliedsstaaten zur Erhöhung ihrer Rüstungsausgaben verpflichtet, zurückzunehmen, darüber hinaus die Militärausgaben von NATO und EU radikal zurückzufahren und die freiwerdenden Mittel z.B. für obige Forderungen einzusetzen. Dies beinhaltet auch umfassende Hilfe für die traumatisierten Soldatinnen und Soldaten.
  • die Einberufung einer Afghanistankonferenz unter der Verantwortung des UN-Generalsekretärs und mit der Beteiligung Afghanistans und dessen Nachbarstaaten, in der regionale Kooperation und gemeinsame Sicherheit für den Frieden im Mittleren Osten thematisiert werden.

Die schrecklichen Leiden der afghanischen Bevölkerung in den letzten 40 Jahren verlangen ein konsequentes friedenspolitisches Umdenken und eine Wende von militärgestützter Sicherheitspolitik zu ziviler Sicherheits- und Friedenspolitik. Sie mahnen die deutsche und die internationale Öffentlichkeit, kein zweites Afghanistan mehr zuzulassen!

Frankfurt a.M., 31.Oktober 2021

Kooperation für den Frieden, Bundesausschuss Friedensratschlag, IPPNW-Deutschland, Pax Christi-Rottenburg-Stuttgart, DFG-VK Hessen, Attac-AG Globalisierung und Krieg